Die Serie „Blickwinkel“ erscheint alle 14 Tage in unserem Newsletter. Hier schreiben Mitarbeitende des schwere reiter über ihre Arbeit, geben Einblick hinter die Kulissen, porträtieren Künstler*innen, beleuchten kulturpolitische Aspekte oder informieren über wichtige Belange des schwere reiter.
Was sind Versprechen wert? | Blickwinkel 2/25
Wahlkampfzeiten sind die Hochsaison der Versprechen. Sie werden ausgegeben wie Konfetti, schillernd und leicht, stets in der Hoffnung, sie mögen den grauen Asphalt für eine Weile bunt färben, bevor sie mit Achselzucken weggefegt werden oder einfach verwehen. Auch die Kulturpolitik bekommt in solchen Momenten ihre Scheinwerferminuten.
Der Deutsche Kulturrat hat die kulturpolitischen Aussagen der Parteien vor der anstehenden Bundestagswahl zusammengetragen. Es ist eine Lektüre, die ich empfehlen kann – nicht, weil sie neue Horizonte eröffnet, sondern weil sich ja auch in den Versprechungen, und seien es die leeren, doch enthüllt, wes Geistes Kind die Parteien sind. Eine ähnliche Zusammenschau gibt es auch vom Deutschlandfunk. Wir können festhalten: Kultur ist kein vorderes Anliegen. Sie bleibt ein dekorativer Bestandteil des politischen Möbels. Eine Initiative vom Netzwerk Freier Theater, flausen+ und FESTIVAL FRIENDS hat dies alles von einer KI illustrieren lassen. Ein Blick lohnt sich! (alle Links unten)
Am Ende fehlt offensichtlich das entscheidende Bekenntnis zu den Kosten, die eine Überführung der Behauptungen in die Realität zwangsläufig mit sich brächte. Und dann gibt es diese Sätze, in denen sich zwei große Ideen gegenseitig neutralisieren: Kunst müsse für alle bezahlbar sein, liest man da. Kunstschaffende müssten fair entlohnt werden, sagen dieselben. Das klingt gut, solange man es nicht zu Ende denkt. Denn wir kommen nicht an dem Dilemma vorbei, dass Kunst teurer werden müsste, entweder für das Publikum oder für den Staat, wenn Künstler*innen fair bezahlt sein sollen. Tatsächlich wird sie sogar ständig teurer (Baumolscher Kosteneffekt) – und doch gelingt es nicht, das gänzlich unromantische Prekariat von weiten Teilen der Szene fernzuhalten. Wie kann Kunst für alle erschwinglich bleiben, wenn ihre Macher*innen fair bezahlt werden sollen? Eine Frage, die sich schon so lange stellt, dass sie längst die Patina einer Antiquität hat.
Und wenn wir lesen, dass Kultur Staatsziel werden soll – was sie, würde man das Konfetti ernst nehmen, ja de facto längst wäre –, dann könnte man meinen, dass damit eine grundsätzliche Veränderung einhergeht. Doch ein Blick auf Artikel 140 der Bayerischen Verfassung, in der eben dies bereits niedergeschrieben ist, lässt Zweifel aufkommen; sind die von leeren kommunalen Kassen getriebenen Legitimationsdebatten hier wirklich grundlegend anders als anderswo?
Am Ende bleibt die altersschwache und müde Frage: Was sind Versprechen wert? Es sind wohl eher Worte, die unversehens etwas reflektieren, das nicht aus ihnen selbst kommt. Die Tage bin ich in einem anderen Kontext auf das Wort „unterkomplex“ gestoßen – Michel Friedmann sagte es. Und es drängt sich auf, selbst dort, wo die grundsätzlich und grundgesetzlich Wohlmeinenden sprechen und schreiben.
Andreas Schlegel, Geschäftsführer
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