Die Serie „Blickwinkel“ erscheint alle 14 Tage in unserem Newsletter. Hier schreiben Mitarbeitende des schwere reiter über ihre Arbeit, geben Einblick hinter die Kulissen, porträtieren Künstler*innen, beleuchten kulturpolitische Aspekte oder informieren über wichtige Belange des schwere reiter.
Das Unfertige als Voraussetzung | Blickwinkel 5/25
Vergangene Woche durfte ich in Halle sein, in den Räumen der Volksbühne am Kaulenberg, (einem dringenden Tipp, wenn es Sie auch einmal nach Halle tragen sollte!). Wir trafen uns als Arbeitsgruppe für die Zukunft des Netzwerks flausen+, ein Zusammenschluss freier Theaterhäuser und Produktionsorte, die eines verbindet: der Versuch, künstlerische Forschung zu ermöglichen – also Arbeit ohne fertiges Ziel, ohne fertigen Plan, ohne das Versprechen auf unmittelbaren Nutzen.
An diesem Tag wurde einmal mehr deutlich, wie sehr gerade diese Ausrichtung ins Erklärungsbedürftige rutscht. In Zeiten, in denen öffentliche Kulturförderung immer stärker unter Legitimationsdruck steht, wirken Begriffe wie „künstlerische Forschung“ oder „ergebnisoffene Arbeit“ verdächtig luxuriös. Es scheint einer Rechtfertigung zu bedürfen, dass wir Räume schaffen, in denen nichts muss, vieles kann und manches vielleicht nie wird.
Dabei ist das Ergebnisoffene nicht Luxus, sondern Voraussetzung. Kunst entsteht nicht dort, wo Antworten gefertigt sind. Das forschende, ergebnisoffene Arbeiten ist kein Umweg, sondern das Wesen künstlerischen Schaffens: das tastende Suchen, das vorläufige Finden und das sofortige Weiterfragen.
Jede Produktion, die wir als Publikum erleben, ist das, was übrig bleibt von einem langen Prozess: ein Moment der Verdichtung, ein Kristall, der sich aus unzähligen Versuchsanordnungen herausbildet. Doch dieser Moment ist nie Endpunkt. Die Kunst verlangt, dass ihre Form nicht zur Formel wird. Sie zwingt die Künstler*innen, das eben Gefundene gleich wieder zu verlassen, weiterzuziehen, neu zu denken. „Ein Kunstwerk ist nie fertig, es wird nur aufgegeben.“, soll Leonardo da Vinci gesagt haben.
Das Suchen zu ermöglichen, beispielsweise in unserer jährlichen 4-wöchigen Sommerresidenz, ist auch unsere Aufgabe als Haus. Eine Aufgabe, die nicht leichter wird. Die Verkreativwirtschaftung der Kunst ist überall spürbar. Oder das Ansinnen, die Kunst müsse, wenn schon nicht wirtschaftlich, dann wenigstens gesellschaftspolitisch wirksam sein. Auch wir spüren den Sog der Effizienz, die Versuchung des Sichtbaren, die Verlockung, alles in messbare Ergebnisse zu übersetzen. Und doch: Wenn Kunst etwas kann, dann dies – offen bleiben für das Unfertige, das Fragile, das Noch-nicht. Dafür Räume zu schaffen, ist kein Luxus. Es ist die Bedingung der Möglichkeit. Und ist es damit nicht ein Freiheitsraum für uns alle?
Andreas Schlegel, Geschäftsführer
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